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Über die Schwierigkeiten ihrer Definition und ihrer Abgrenzung zu Metapher und Synekdoche

Inhaltsverzeichnis

1. Definitionen der Metonymie 3

2. Metonymie und Metapher 4

3. Metonymie und Synekdoche 6

4. Metonymisches Denken im Traum 7

5. Versuch einer Einordnung 8


Definitionen der Metonymie

"Denominatio est quae ab rebus propinquis et finitimis trahit orationem, qua possit intellegi res quae non suo vocabulo sit appellata." Der Auctor ad Herrenium faßt mit wenigen Worten zusammen, was er unter einer Metonymie versteht: "Die Metonymie nimmt einen Ausdruck von verwandten und benachbarten Dingen, damit durch ihn eine Sache verstanden werden kann, die nicht mit ihrem eigenen Begriff benannt ist."

Clemens Ottmers definiert ca. 2000 Jahre später die Trope wie folgt: "Ähnlich wie die Metapher beruht auch die Metonymie auf einer semantischen Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Gemeintem und Gesagtem. Im Unterschied zur Metapher besteht diese jedoch in einer direkten Nachbarschaft der Begriffe, basiert also nicht auf einer Vergleichsbeziehung, sondern quasi auf einem ‘realen’ Ähnlichkeitsverhältnis."

Das "reale Ähnlichkeitsverhältnis", von dem Ottmers spricht, wird bei Jakobson um den Begriff der "Kontiguitätsrelation" erweitert. Hiermit sind "Nähe, Angrenzung und Berührung" als äußere Relationen gemeint, ähnlich wie vom Auctor ad Herrenium (rebus propinquis et finitimis) erwähnt, hinzu kommt bei Jakobson noch der Gedanke der linearen Kombination und Kontextbildung, der im Unterschied zu den vertikalen Operationen der Selektion und Substitution, die für die Metapher charakteristisch sind, aufgeführt wird. Anschaulich gemacht werden beide Begriffe anhand der syntagmatischen bzw. paradigmatischen Achse, der sogenannten "Zweiachsentheorie", die Jakobson aus den assoziationspsychologischen Prinzipien der Kontiguität und Similarität entwickelt hat. Similarität, also Ähnlichkeit, entspricht bei ihm der Metapher und ist nicht gleichzusetzen mit dem Begriff des "realen Ähnlichkeitsverhältnisses", mit dem Ottmers die Metonymie charakterisiert. Im ersten Fall ist die innere Relation angesprochen, im zweiten Fall die äußere Relation einer Mitteilung gemeint.

Metonymie und Metapher

Jakobson bezeichnet die syntagmatische Achse als den "metonymischen Weg" und nennt komplementär dazu die paradigmatische Achse den "metaphorischen Weg". Er nimmt diese Definition zum Anlaß, Metapher und Metonymie als gleichwertige Tropen nebeneinanderzustellen und zeigt u.a. aus Erkenntnissen, die aus verschiedenen Formen der Aphasie gewonnen wurden, daß es sich bei Metapher und Metonymie um ein komplementäres Begriffspaar handelt, das "von erstrangiger Bedeutung und Konsequenz für das gesamte sprachliche Verhalten und das menschliche Verhalten im allgemeinen zu sein" scheint. Die Ursache für die bisherige Vernachlässigung der Metonymie in der Literatur sieht er darin, daß sie vorzugsweise in der pragmatischen Prosa Anwendung findet, während die Metapher die Trope der lyrischen Dichtung, insbesondere in der Epoche der Romantik und des Symbolismus, darstellt.

Jacques Lacan greift in seiner Abhandlung "Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud" die Zweiachsentheorie Roman Jakobsons auf und interpretiert sie gleichzeitig um: "Der schöpferische Funke der Metapher entspringt nicht der Vergegenwärtigung zweier Bilder, das heißt zweier gleichweise aktualisierter Signifikanten. Er entspringt zwischen zwei Signifikanten, deren einer sich dem anderen substituiert hat, indem er dessen Stelle in der signifikanten Kette einnahm, wobei der verdeckte Signifikant gegenwärtig bleibt durch seine (metonymische) Verknüpfung mit dem Rest der Kette." Somit ist die Metapher nicht mehr nur auf die paradigmatische Achse beschränkt, sondern gleichzeitig in die syntagmatische Achse mit eingebunden. Sie ist, laut Anselm Haferkamp, indem er Lacans Gedanken zusammenfaßt: "Ein syntagmatisch neu entfaltetes Paradigma". Haferkamp geht sogar noch weiter und setzt die Metapher wieder über die Metonymie: "Der Vorrang der Metapher ist mithin syntagmatisch begründet. (...) Nicht die Metapher beruht auf dem Paradigma, sondern das Paradigma auf der Metapher."

Die Frage ist, inwieweit sich dieser Schluß nicht umgekehrt ebenso auf die Metonymie anwenden läßt. Auch sie kann zusätzlich zum Syntagma als verkürztes Paradigma angesehen werden, wenn man das Wortfeld, aus dem sie genommen wurde, als vertikale Achse setzt. Haferkamp selber bringt Hinweise zu diesem Ansatz: "Die Metonymie andererseits entspricht nicht nur der Verschiebung, sondern charakterisiert die Verschiebbarkeit der übereinandergeschichteten Kontexte, aus deren Kontiguität ein Wort in der aktuellen Kombination jedes Satzes (...) seine Bedeutung als ‘kontextvermittelte Wirksamkeit’ bezieht."

Unter anderen wird Jakobsons Zweiachsentheorie auch von Harald Weinrich aufgegriffen. Im Gegensatz zu Haferkamp beweist er umgekehrt den Vorrang der Metonymie vor der Metapher. Weinrich knüpft an eine verbreitete Definition der Metonymie an, in der von einer "res consequens" die Rede ist, die üblicherweise als "reale" Beziehung zwischen den beiden im Bilde verbundenen Sprachzeichen übersetzt wird. Hier liegt der Fehler, so Weinrich. ""Res" bedeutet nach der antiken Definition nicht "real", sondern "Argument" (Topos). Er schließt daraus, daß zwischen den beiden Gliedern einer Metonymie ein topischer (auf ein Argument bezogener) und nicht ein "realer" Zusammenhang bestehen muß. Weinrich bildet einen Zusammenhang zwischen dem Metonymien-Katalog in der Elocutio und dem Argumenten-Katalog der Inventio und zieht die Verbindung zu der Mnemotechnik. Zur vollständigen und flüssigen Wiedergabe der Rede werden die Argumente in Form von anschaulichen Bildern, meist Metonymien oder Synekdochen, gespeichert und an geeigneten "Örtern" plaziert, von denen sie nacheinander abgerufen werden können. Genau unter diesem Gesichtspunkt, also der guten Erreichbarkeit der Topoi (Argumente), sieht Weinrich die Metonymie als der Metapher überlegen an.

Die aufgeführten Beispiele zeigen, daß die Einordnung der Metonymie bisher noch nicht endgültig getroffen wurde und Aussagen zu ihrer Stellung offensichtlich vom Ansatz des Autors und der Art der untersuchten Texte abhängen.

Es fehlt, – so Nicolas Ruwet – eine umfassende und artikulierte Theorie der Interpretation von Äußerungen. Erst wenn diese ausgearbeitet ist, wird sich Grundsätzliches zum Begriff der Metonymie und ihrer Einordnung sagen lassen. Speziell die Unterscheidung zwischen Metonymie und Synekdoche wird man – laut Ruwet – dann vermutlich fallen lassen. Sie wird auch bisher selten wirklich scharf gezogen.

Metonymie und Synekdoche

Ottmers definiert: "Eine der Metonymie sehr ähnliche Erscheinung ist die Synekdoche (intellectio, conceptio, comprehensio). Basierte jene auf einem qualitativen ontologischen Ähnlichkeitsverhältnis der Begriffe, so liegt mit der Synekdoche ein rein quantitatives ontologisches Ähnlichkeitsverhältnis vor. (...) Im Grunde genommen ist die Synekdoche damit eine spezielle Form der Metonymie."

Auch Plett, von Wilpert und Schweikle sehen die Synekdoche als Sonderform der Metonymie oder zumindest die Grenzen zwischen beiden Tropen als fließend an.

Ottmers bemerkt hierzu: "Über das Verhältnis von Metapher, Metonymie und Synekdoche ist lange gerätselt worden, ohne daß es endgültig geklärt wäre." Er erklärt die Metapher zur beliebtesten und am häufigsten verwendeten Trope. Das erscheint mir so nicht haltbar zu sein bzw. sich nicht auf alle die Rhetorik betreffenden Texte zu beziehen, da laut Jakobson die Metonymie die Trope der pragmatischen Prosa ist und somit sicherlich rein quantitativ mindestens so häufig wie die Metapher eingesetzt wird, die vorwiegend als Trope der Poesie angesehen wird.

Weiterhin führt Ottmers aus, daß metaphorisches Sprechen unserem Denken entgegenzukommen scheint und für unsere "praktische Orientierung im Dasein" von höchster Wichtigkeit ist. Auch hierin kann ich ihm nicht zustimmen, da bereits Jakobson wie auch Lacan am Beispiel der "Traumdeutung" von Freud deutlich machten, daß beide Tropen, Metapher wie Metonymie, grundlegenden Anteil an unserem Denken besitzen.

Metonymisches Denken im Traum

Freuds Erkenntnis, daß sich der manifeste Trauminhalt aus Sacherinnerungen zusammensetzt, die durch die Prozesse der Verdichtung und Verschiebung aus den latenten Traumgedanken, also aus Wortvorstellungen, gebildet wurden, die wiederum gleichzeitig Schlüssel zu Verdrängtem und verborgenen Wünschen sind, zeigt, daß unser Unbewußtes offensichtlich unsere Erfahrungen mit den Mitteln der Metonymie und Metapher bearbeitet.

Die Verdichtungsquote ist hierbei unbestimmbar und nahezu unendlich erweiterbar. Der Inhalt des Traumes erscheint als anders zentriert, das heißt, seine Elemente gruppieren sich um einen anderen Mittelpunkt als die Traumgedanken. Wichtig für die Metonymie: Durch die Traumverschiebung lassen sich Inhalte der Traumgedanken der Zensur der psychischen Instanz entziehen!

Laut Jakobson entsprechen die Begriffe der Verdichtung und der Verdrängung der Metonymie, da sie auf Kontiguität beruhen, während die Begriffe der Identifizierung und des Symbolismus der Metapher zuzuordnen sind, da sie der Similarität entsprechen. Die Verschiebung ordnet Jakobson keine der beiden Tropen zu. Lacan hingegen sieht in der Verdichtung das Feld der Metapher. Er meint dabei die Überbelastungsstruktur der Signifikanten, also den Überschuß, der als typisch für die Metapher bezeichnet wird. Die Metonymie ordnet er der Verschiebung zu, da sie bei Freud als das Mittel beschrieben wird, die Zensur zu umgehen.

Durch diesen letzten Umkehrschluß erscheint mir Lacans Definition zutreffender zu sein, die Verschiebung gilt als eines der Grundmerkmale der Metonymie. Unter anderen definiert auch Lausberg die Metonymie mit dem Begriff der Verschiebung: "Die metonymia (...) besteht in einer Verschiebung der Benennung außerhalb der Ebene des Begriffsinhalts."

Grundsätzlich ist es jedoch überraschend, wie die "Rhetorik des Unbewußten" der Struktur der Sprache des Bewußtseins entspricht. Weitere Forschungen über den Zusammenhang von Sprache und Denken werden in Zukunft sicher noch weitere interessante Ergebnisse bringen.

Versuch einer Einordnung

Vom Aspekt der "Traumdeutung" her behält letztlich Jakobson recht, wenn er Metonymie und Metapher als ebenbürtige Tropen ansieht, denn für die "Traumarbeit" sind die Verschiebung und die Verdichtung gleichwertige Funktionen. Wenn also unser Unbewußtes gleichwertig mit metonymischen und metaphorischen Prozessen umgeht, ist anzunehmen, daß sie möglicherweise auch für unser bewußtes Denken eine ähnlich gewichtete Rolle spielen. Eventuell liegt es tatsächlich an der Art der bisherigen Untersuchungen und der Auswahl der bearbeiteten Texte, daß die Metonymie bisher weniger Beachtung fand als die Metapher.

Ein zweiter Grund, sich in Zukunft nochmals verstärkt mit der Metonymie zu befassen, liegt m.E. in der Aufgabe der Rhetorik begründet. Ottmers bemerkt treffend über den Sinn der Rhetorik: "Theorie und Praxis der ars rhetorica sind wechselseitig und untrennbar miteinander verbunden: Die Theorie der Rhetorik ist einerseits aus der Praxis hervorgegangen, sie soll andererseits auf diese zurückwirken (und sie dabei verbessern). Dabei fällt der Theorie selbst eine doppelte Aufgabe zu, denn sie soll sowohl eine Anleitung zum ‘guten’ Reden und Schreiben liefern, also ein durchschaubares System präskriptiver Regeln aufstellen, als auch die Mittel und Verfahren verfügbar machen, Reden und Texte zu analysieren und auf ihre Wirkung hin zu untersuchen. (...) Denn die effiziente Erwiderung in einer Diskussion und die überzeugende Widerlegung von Argumenten ist nur dann möglich, wenn Verfahrensweise und Taktiken der ‘Gegenseite’ vorher erkannt und durchschaut worden sind."

Genau an diesem Punkt sehe ich den Aspekt in der Diskussion um die Metonymie, den ich bisher noch nicht erwähnt gefunden habe und der mit zu der Aufgabe der Rhetorik gehört: Sie soll Kommunikationsstrategien durchschaubar machen. Auf die Metonymie angewandt, bedeutet das: Es gilt den Mangel, so wie ihn u.a. Lacan beschreibt, zu untersuchen – im Gegensatz zu dem bereits ausführlich erörterten Überschuß der Metapher – und ihre Eigenschaft kritisch zu beleuchten, Inhalte unbemerkt verschieben zu können.

 

 

Literaturverzeichnis

Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Körner, 1990.

Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. Band II, Frankfurt am Main: Fischer, 1972.

Haverkamp, Anselm (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1996.

Jacobson, Roman: Der Doppelcharakter der Sprache und die Polarität zwischen Metaphorik und Metonymik. in: Anselm Haverkamp (Hrsg.), Theorie der Metapher, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1996.

Lacan, Jacques: Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud. in: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1996.

Lausberg, Heinrich: Elemente der literarischen Rhetorik. München: Hueber, 19765.

Ottmers, Clemens: Rhetorik. Stuttgart: Metzler, 1996.

Plett, Heinrich F.: Einführung in die rhetorische Textanalyse. Hamburg: Buske, 19753.

Quintilian, Marco F.: Ausbildung des Redners. Hrsg. u. übers. von Helmut Rahn, Darmstadt, 1995.

Ruwet Nicolas: Synekdochen und Metonymien. in: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1996.

Schweikle, Günther und Irmgard (Hrsg.): Metzler Literatur Lexikon. Stuttgart: Metzler, 19902.

Weinrich, Harald: Zur Definition der Metonymie und zu ihrer Stellung in der rhetorischen Kunst. in: Arnold Arens (Hrsg.): Text-Etymologie. Untersuchungen zu Textkörper und Textinhalt. FS Heinrich Lausberg. Wiesbaden 1987.

Wilpert, Gero von: Sachwörterbuch der Literatur. Stuttgart: Körner. 1997.